Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik

Gemeinsame Einschätzung der Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik zum Einsatz von Overlay-Tools

Kategorie: Allgemein

Mit Einführung der EU-Richtlinie 2016/2102 zur Barrierefreiheit von Webauftritten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (EU-Webseitenrichtlinie) und deren Umsetzung in nationales Recht, ist der Bedarf an Barrierefreiheitskompetenz enorm gestiegen.

Stand: Dezember 2023

Statement des Ausschusses für barrierefreie Informationstechnik

Der Ausschuss für barrierefreie Informationstechnik gemäß § 5 BITV 2.0 hat sich in seinen Sitzungen vom 28. September 2023 und 14. Dezember 2023 mit dem Thema Overlay-Tools im Allgemeinen und mit der "Gemeinsamen Einschätzung der Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik zur Verwendung von Overlay-Tools" (Einschätzung der Überwachungsstellen) im Besonderen befasst. Er nimmt mit Besorgnis wahr, dass öffentliche Stellen ihre sich aus der Richtlinie (EU) 2016/2102 und dem diese umsetzenden Bundes- und Landesrecht ergebenden Verpflichtungen zur barrierefreien Gestaltung ihrer Websites dadurch nachzukommen versuchen, dass sie auf ihren Webauftritten sogenannte Overlay-Tools einbinden. Er teilt die in der Einschätzung der Überwachungsstellen geäußerte Auffassung, dass die Anforderungen an die vollständige Barrierefreiheit eines Webauftrittes dem Grunde nach schon während der Konzeption eines Webauftritts umfassend zu berücksichtigen sind. Auch aus seiner Sicht genügt eine nachträglich durch eine Software, gegebenenfalls erst nach Vornahme von Einstellungen durch nutzende Personen, temporäre barrierefreie Darstellung eines Webauftrittes für die Dauer ihrer Nutzung nicht den Anforderungen der vorgenannten Vorschriften. Ergänzend weist der Ausschuss darauf hin, dass öffentliche Stellen, die derartige Tools auf ihren Webauftritten einsetzen, Gefahr laufen, dass ihre Angebote gleichwohl für Menschen mit Beeinträchtigungen nicht barrierefrei zugänglich sind. In der Folge können ihnen im Einzelfall zusätzlicher Aufwand und Kosten für die tatsächliche barrierefreie Gestaltung ihres Webauftrittes entstehen.
Der Ausschuss weist darauf hin, dass Websites öffentlicher Stellen nur dann barrierefrei sind, wenn sie die sich aus der RL (EU) 2016/2102 sich ergebenden Anforderungen zur Barrierefreiheit auch ohne die Verwendung von Overlay-Tools erfüllen.

Wenn Websites Overlay-Tools verwenden, dann müssen diese Tools ebenso die Anforderungen zur Barrierefreiheit einhalten.

Außerdem müssen Overlay-Tools durch Nutzende auf einfache Weise abschaltbar sein.

Einleitung

Mit Einführung der EU-Richtlinie 2016/2102 zur Barrierefreiheit von Webauftritten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (EU-Webseitenrichtlinie) und deren Umsetzung in nationales Recht, ist der Bedarf an Barrierefreiheitskompetenz enorm gestiegen. Viele öffentliche Stellen suchen Agenturen oder Personen mit Fachexpertise, die ihnen bei der barrierefreien Gestaltung ihrer Webauftritte nach der technischen Norm EN 301 549 und der darin inkludierten WCAG 2.1 auf Konformitätsstufe AA als Mindestanforderungen, helfen können. Im Zuge dessen bieten Unternehmen vermehrt Angebote auf dem Markt an, die eine einfach zu installierende, automatisierte Lösung versprechen. Sogenannte „Overlay-Tools“ sollen den eigenen Webauftritt automatisch barrierefrei machen können, damit dieser für alle Personen problemlos nutzbar und zugänglich ist. Die Tools werden sowohl kostenfrei als auch kostenpflichtig angeboten. Im Folgenden werden wir näher auf die Chancen und auf die Grenzen solcher Tools eingehen.

Was sind Overlay-Tools?

Als Overlay-Tool wird in der Regel eine Softwarelösung bezeichnet, deren Ziel es ist, innerhalb eines Webauftrittes die Zugänglichkeit (Barrierefreiheit) zu verbessern. Dabei wird häufig Quellcode von Drittanbietenden (in der Regel Javascript) dem Quellcode der Webseite hinzugefügt. Die dadurch verursachten Veränderungen sind nur solange verfügbar, wie das entsprechende Tool im Webauftritt integriert ist. Die Funktionsvielfalt ist dabei sehr unterschiedlich.

Welche Arten von Overlay-Tools gibt es?

Die obige Definition ist sehr offen formuliert. Grundsätzlich lassen sich Overlay-Tools wie folgt unterscheiden:

Bedienung bzw. notwendige Interaktion

  • Overlay-Tools, die automatische Verbesserungen ohne Interaktion durch die Nutzenden durchführen,
  • Overlay-Tools, die von Nutzenden zunächst konfiguriert werden müssen bzw. bei denen aktiv Aktionen ausgewählt werden müssen,
  • eine Kombination aus beiden Varianten, bei der automatische Verbesserungen stattfinden, die zusätzlich konfiguriert werden können.

Zugriff auf das Tool

  • Overlay-Tools, die installiert werden müssen und clientseitig laufen (universell beim Surfen einsetzbare Overlays),
  • Overlay-Tools, die beim Webseiten- bzw. Tool-Anbietenden installiert sind und serverseitig laufen (Kunden- bzw. Website-spezifisches Overlay).

Konkrete Umsetzungsform im Benutzeragenten, z.B. ein Overlay-Tool als

  • Toolbar
  • Plugin
  • App
  • Widget[1]

Was leisten Overlay-Tools?

Die Einbindung von Overlay-Tools in den eigenen Webauftritt ist oftmals relativ einfach und die nutzende Person hat die Möglichkeit, das Erscheinungsbild an individuelle Bedürfnisse anzupassen. Die Einstellungsmöglichkeiten reichen dabei von drei Schaltflächen bis hin zu über 50 Schaltflächen in einem Tool. Darunter fallen Einstellungen zum Kontrastverhältnis des Textes, der Schriftgröße oder zum Ausblenden vorhandener Bilder und vieles mehr. Es gibt Tools, die eine Auswahl an konkreten Behinderungsarten auflisten, beispielsweise verschiedene Farbsehschwächen: Rotschwäche-Modus, Grünschwäche-Modus, usw. Hier werden dann gemäß der Farbsehschwäche Hintergrund- und Textfarbe angepasst.

Für Personen, die eine größere Schrift oder eine andere Hintergrundfarbe bevorzugen, mag das hilfreich sein. Nutzende mit Beeinträchtigungen brauchen diese Lösung jedoch nicht nur für einen einzelnen Webauftritt, sondern generell für die Bedienung des Computers oder des Smartphones. In der Regel besuchen Nutzende einen Webauftritt mit einem bestimmten Ziel. Können diese Inhalte nicht wahrgenommen werden, müssen Nutzende im Webauftritt suchen, ob ein Tool zur Verfügung gestellt wird, sich zunächst in die Bedienung einarbeiten, um damit die Zugänglichkeit potentiell zu verbessern. Menschen mit Beeinträchtigungen haben diese Einstellungen in der Regel im Betriebssystem ihres Geräts oder in dem von ihnen genutzten Browser vorgenommen. Und dort, wo diese Einstellungen alleine nicht ausreichen, nutzen sie Hilfstechnologien, wie beispielsweise Vergrößerungssoftware, Spezialtastaturen, Spezialmäuse, Spracheingabesoftware oder Screenreader.

Overlay-Tools werden oft in schlecht oder fehlerhaft programmierte Webauftritte mit der Absicht eingebunden, die Barrierefreiheit herzustellen. Bei gleichzeitiger Nutzung von Overlay-Tools und Hilfstechnologien können negative Wechselwirkungen entstehen. Dadurch können sie die ordnungsgemäße Funktionalität der vorhandenen Hilfstechnologien beeinträchtigen und somit die Zugänglichkeit des Webauftrittes verschlechtern, anstatt sie zu verbessern. Dies kann dazu führen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen erhebliche Schwierigkeiten beim Zugriff auf den Webauftritt haben und im ungünstigsten Fall sogar von der Nutzung ganz ausgeschlossen werden.

Verschiedene Anbietende werben damit, automatisiert alle WCAG-Kriterien erfüllen zu können, z. B. automatisch Alternativtexte für Bilder zu erstellen. Tatsächlich kann eine automatische Erkennung von Bildinhalten in einigen Fällen sogar funktionieren. Der Zweck des Bildes sowie dessen Bedeutung im individuellen Kontext kann jedoch nicht automatisiert erfasst werden. Insbesondere die Beschreibung von komplexen Bildern erfordert z. T. Fachexpertise und kann nicht generell automatisiert werden.

Des Weiteren muss ein Overlay-Tool alle Kriterien automatisiert testen können, um dann jeweils die entsprechende Lösung für ein Kriterium zu finden, das Mängel aufweist. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter https://www.w3.org/WAI/test-evaluate/tools/selecting/#cannot.

Es ist derzeit nicht möglich, automatisiert alle Barrieren in einem Webauftritt oder einer mobilen Anwendung zu finden. Nur ein kleiner Teil der mehr als 100 Barrierefreiheitsanforderungen der EN 301 549 kann automatisiert geprüft werden. Die Verifizierung der Ergebnisse durch Personen mit fachlichem Know-how muss im Anschluss sichergestellt werden.

Die WCAG, als Teil der EN 301 549, lassen nur eine konforme barrierefreie Alternativversion eines Webauftrittes zu. Diese muss den gleichen Inhalt und die gleiche Funktionalität wie die Ausgangsversion aufweisen (https://www.w3.org/TR/WCAG/#dfn-conforming-alternate-version).

Durch Overlay-Tools können verschiedene Darstellungsformen einer Webseite erzeugt werden. Eine dieser Darstellungsformen muss als Alternativversion vollständig konform sein, damit diese durch die WCAG ausnahmsweise anerkannt wird. Der Aufruf der konformen Alternativversion muss zudem barrierefrei möglich sein. Diese Einstellung soll z. B. durch eine Kennzeichnung leicht aufgefunden werden können, um eine einfache Handhabung im Sinne der Barrierefreiheit zu gewährleisten. Dies impliziert aus unserer Sicht, dass die barrierefreie Alternativversion über einen einzigen barrierefreien und verständlichen Schalter bzw. Link aufrufbar sein muss.

Overlay-Tools können für die Erfüllung von WCAG-Kriterien der Konformitätsstufe AAA durchaus zum Einsatz kommen. Insbesondere für die Erfüllung des Kriteriums „1.4.8 Visuelle Präsentation“ sind sie vorstellbar.

Zu beachten ist weiterhin, dass Overlay-Tools, die in Webauftritte explizit eingebunden sind, nicht mit Hilfstechnologien verwechselt werden dürfen. Overlay-Tools können Funktionen von Hilfstechnologien nicht ersetzen.

Fazit

• Aktuell sind Overlay-Tools nicht in der Lage, einen Webauftritt, der Barrieren aufweist, vollständig barrierefrei darzustellen.
• Durch den Einsatz solcher Tools können weitere Barrieren im Webauftritt entstehen.
• Overlay-Tools können eine schon vorhandene Barrierefreiheit verbessern, indem z. B. zusätzliche Kriterien der Konformitätsstufe AAA der WCAG erfüllt werden.

Gemäß den gesetzlichen Vorgaben muss es Menschen mit Beeinträchtigungen in allgemein üblicher Weise und ohne besondere Erschwernis möglich sein, Zugang zu einem Webauftritt zu bekommen und diesen nutzen zu können. Das gilt ebenso für auf der Seite vorhandene Hilfsmittel oder Overlay-Tools als Teile des Webauftritts. Diese müssen sicherstellen, dass eventuell vorhandene Barrieren wie von der Funktion beschrieben, tatsächlich auch beseitigt werden. Bei der Einbettung von Overlay-Tools dürfen keine negativen Wechselwirkungen entstehen.

Ziel einer nachhaltigen barrierefreien Gestaltung eines Webauftrittes sollte es sein, die Anforderungen an die vollständige Barrierefreiheit schon während der Konzeption des jeweiligen Teils des Webauftritts umfassend zu berücksichtigen.

[1] Siehe Kompetenzzentrum Barrierefreiheit Volmarstein

Die Einschätzung zum Thema Overlay gibt es als PDF zum Download.