Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik

Gemeinsame Einschätzung der Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik zur Verwendung von Overlay-Tools

Kategorie: Allgemein

Mit Einführung der EU-Richtlinie 2016/2102 zur Barrierefreiheit von Webauftritten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (EU-Webseitenrichtlinie) und deren Umsetzung in nationales Recht, ist der Bedarf an Barrierefreiheitskompetenz enorm gestiegen.

Stand: Juli 2022

Einleitung

Mit Einführung der EU-Richtlinie 2016/2102 zur Barrierefreiheit von Webauftritten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (EU-Webseitenrichtlinie) und deren Umsetzung in nationales Recht, ist der Bedarf an Barrierefreiheitskompetenz enorm gestiegen. Viele öffentliche Stellen suchen Agenturen oder Personen mit Fachexpertise, die ihnen bei der barrierefreien Gestaltung ihrer Webauftritte nach der technischen Norm EN 301 549 und der darin inkludierten WCAG 2.1 auf Konformitätsstufe AA als Mindestanforderungen, helfen können. Im Zuge dessen bieten Unternehmen vermehrt Angebote auf dem Markt an, die eine einfach zu installierende, automatisierte Lösung versprechen. Sogenannte „Overlay-Tools“ sollen den eigenen Webauftritt automatisch barrierefrei machen können, damit dieser für alle Personen problemlos nutzbar und zugänglich ist. Die Tools werden sowohl kostenfrei als auch kostenpflichtig angeboten. Im Folgenden werden wir näher auf die Chancen und auf die Grenzen solcher Tools eingehen.

Was sind Overlay-Tools?

Als Overlay-Tool wird in der Regel eine Softwarelösung bezeichnet, deren Ziel es ist, innerhalb eines Webauftrittes die Zugänglichkeit (Barrierefreiheit) zu verbessern. Dabei wird häufig Quellcode von Drittanbietenden (in der Regel Javascript) dem Quellcode der Webseite hinzugefügt. Die dadurch verursachten Veränderungen sind nur solange verfügbar, wie das entsprechende Tool im Webauftritt integriert ist. Die Funktionsvielfalt ist dabei sehr unterschiedlich.

Welche Arten von Overlay-Tools gibt es?

Die obige Definition ist sehr offen formuliert. Grundsätzlich lassen sich Overlay-Tools wie folgt unterscheiden:

Bedienung bzw. notwendige Interaktion

  • Overlay-Tools, die automatische Verbesserungen ohne Interaktion durch die Nutzenden durchführen,
  • Overlay-Tools, die von Nutzenden zunächst konfiguriert werden müssen bzw. bei denen aktiv Aktionen ausgewählt werden müssen,
  • eine Kombination aus beiden Varianten, bei der automatische Verbesserungen stattfinden, die zusätzlich konfiguriert werden können.

Zugriff auf das Tool

  • Overlay-Tools, die installiert werden müssen und clientseitig laufen (universell beim Surfen einsetzbare Overlays),
  • Overlay-Tools, die beim Webseiten- bzw. Tool-Anbietenden installiert sind und serverseitig laufen (Kunden- bzw. Website-spezifisches Overlay).

Konkrete Umsetzungsform im Benutzeragenten, z.B. ein Overlay-Tool als

  • Toolbar
  • Plugin
  • App
  • Widget[1]

Was leisten Overlay-Tools?

Die Einbindung von Overlay-Tools in den eigenen Webauftritt ist oftmals relativ einfach und die nutzende Person hat die Möglichkeit, das Erscheinungsbild an individuelle Bedürfnisse anzupassen. Die Einstellungsmöglichkeiten reichen dabei von drei Schaltflächen bis hin zu über 50 Schaltflächen in einem Tool. Darunter fallen Einstellungen zum Kontrastverhältnis des Textes, der Schriftgröße oder zum Ausblenden vorhandener Bilder und vieles mehr. Es gibt Tools, die eine Auswahl an konkreten Behinderungsarten auflisten, beispielsweise verschiedene Farbsehschwächen: Rotschwäche-Modus, Grünschwäche-Modus, usw. Hier werden dann gemäß der Farbsehschwäche Hintergrund- und Textfarbe angepasst.

Für Personen, die eine größere Schrift oder eine andere Hintergrundfarbe bevorzugen, mag das hilfreich sein. Nutzende mit Behinderungen brauchen diese Lösung jedoch nicht nur für einen einzelnen Webauftritt, sondern generell für die Bedienung des Computers oder des Smartphones. Niemand möchte auf jedem Webauftritt erst suchen müssen, ob ein Tool zur Verfügung gestellt wird, mit dem die Zugänglichkeit potentiell verbessert werden kann. Menschen mit Beeinträchtigungen haben diese Einstellungen in der Regel im Betriebssystem ihres Geräts oder in dem von ihnen genutzten Browser vorgenommen. Und dort, wo diese Einstellungen alleine nicht ausreichen, nutzen sie Hilfstechnologien, wie beispielsweise Vergrößerungssoftware, Spezialtastaturen, Spezialmäuse, Spracheingabesoftware oder Screenreader. Das bedeutet, dass Overlay-Tools und Hilfstechnologien bei gleichzeitiger Nutzung zu negativen Wechselwirkungen führen können, wodurch die Zugänglichkeit des Webauftrittes verschlechtert werden kann.

Verschiedene Anbietende werben damit, automatisiert alle WCAG-Kriterien erfüllen zu können, z. B. automatisch Alternativtexte für Bilder zu erstellen. Tatsächlich kann eine automatische Erkennung von Bildinhalten in einigen Fällen sogar funktionieren. Der Zweck des Bildes sowie dessen Bedeutung im individuellen Kontext kann jedoch nicht automatisiert erfasst werden. Insbesondere die Beschreibung von komplexen Bildern erfordert z. T. Fachexpertise und kann nicht generell automatisiert werden.

Des Weiteren muss ein Overlay-Tool alle Kriterien automatisiert testen können, um dann jeweils die entsprechende Lösung für ein Kriterium zu finden, das Mängel aufweist. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter https://www.w3.org/WAI/test-evaluate/tools/selecting/#cannot.

Es ist derzeit nicht möglich, automatisiert alle Barrieren in einem Webauftritt oder einer mobilen Anwendung zu finden. Nur ein kleiner Teil der mehr als 100 Barrierefreiheitsanforderungen der EN 301 549 kann automatisiert geprüft werden. Die Verifizierung der Ergebnisse durch Personen mit fachlichem Know-how muss im Anschluss sichergestellt werden.

Die WCAG, als Teil der EN 301 549, lassen nur eine konforme barrierefreie Alternativversion eines Webauftrittes zu. Diese muss den gleichen Inhalt und die gleiche Funktionalität wie die Ausgangsversion aufweisen (https://www.w3.org/TR/WCAG/#dfn-conforming-alternate-version).

Durch Overlay-Tools können verschiedene Darstellungsformen einer Webseite erzeugt werden. Eine dieser Darstellungsformen muss als Alternativversion vollständig konform sein, damit diese durch die WCAG ausnahmsweise anerkannt wird. Der Aufruf der konformen Alternativversion muss zudem barrierefrei möglich sein. Diese Einstellung soll z. B. durch eine Kennzeichnung leicht aufgefunden werden können, um eine einfache Handhabung im Sinne der Barrierefreiheit zu gewährleisten. Dies impliziert aus unserer Sicht, dass die barrierefreie Alternativversion über einen einzigen barrierefreien und verständlichen Schalter bzw. Link aufrufbar sein muss.

Overlay-Tools können für die Erfüllung von WCAG-Kriterien der Konformitätsstufe AAA durchaus zum Einsatz kommen. Insbesondere für die Erfüllung des Kriteriums „1.4.8 Visuelle Präsentation“ sind sie vorstellbar.

Zu beachten ist weiterhin, dass Overlay-Tools nicht mit Hilfstechnologien verwechselt werden dürfen. Overlay-Tools können Funktionen von Hilfstechnologien nicht ersetzen.

Prüfung auf Barrierefreiheit                                          

Bei Prüfungen auf Barrierefreiheit können Overlay-Tools wie folgt berücksichtigt werden:

  1. Prüfen, ob der Link/Schalter zur Alternativversion alle relevanten Kriterien der EN 301 549 erfüllt. Dazu zählen u. a. Kontrast oder Verständlichkeit des Links.
  2. Prüfen, ob bei mehreren Einstellungen, das Overlay-Tool selbst barrierefrei ist.
  3. Prüfen, ob die Alternativversion selbst barrierefrei ist.

Fazit

Overlay-Tools können eine schon vorhandene Barrierefreiheit verbessern, indem z. B. zusätzliche Kriterien der Konformitätsstufe AAA der WCAG erfüllt werden.

Aktuell sind Overlay-Tools nicht in der Lage, einen Webauftritt, der Barrieren aufweist, komplett barrierefrei darzustellen. Häufig kommt es vor, dass durch den Einsatz solcher Tools weitere Barrieren im Webauftritt entstehen, die ohne das Tool gar nicht existiert hätten.

Gemäß den gesetzlichen Verpflichtungen muss es für Menschen mit Beeinträchtigungen ohne besondere Erschwernis und in allgemein üblicher Weise möglich sein, das Overlay-Tool so zu nutzen, dass die Barrieren wie von der Funktion beschrieben, tatsächlich auch beseitigt werden und keine negativen Wechselwirkungen entstehen.

Ziel einer nachhaltigen barrierefreien Gestaltung eines Webauftrittes sollte es sein, die Anforderungen an die vollständige Barrierefreiheit schon während der Konzeption des jeweiligen Teils des Webauftritts umfassend zu berücksichtigen.

[1] Siehe Kompetenzzentrum Barrierefreiheit Volmarstein

Die Einschätzung zum Thema Overlay gibt es als PDF zum Download.