Die digitale Barrierefreiheit auf der semiotischen Ebene der Genderzeichen
Kategorie: Allgemein
21. November 2023
Die Frage nach der Barrierefreiheit von Genderzeichen sollte sich stets an den drei Grundprinzipien - barrierefreie Wahrnehmung, Verständlichkeit und Reproduzierbarkeit - ausrichten.
Dieser Text ist eine Aktualisierung der Empfehlung zu gendergerechter, digital barrierefreier Sprache aus dem August 2021. Der Kernpunkt der Aktualisierung ist eine neue Ausrichtung in der Zielstellung und damit auch der Kernaussage der Empfehlung aus 2021. Mit dieser Neuausrichtung wird der Text den seit 2021 sich vollziehenden Entwicklungen in der Frage des Genderns in der deutschen Sprache gerecht. Bereits die Empfehlung aus 2021 bezog sich lediglich auf die Frage, welches Zeichen aus Sicht der digitalen Barrierefreiheit am sinnvollsten erscheint, wenn gegendert wird. Die Debatte wird zunehmend gesellschaftspolitisch geführt und reicht weit über die rein semiotische Ebene der Zeichen und deren Nutzung hinaus. Vor allem die Frage der gesellschaftspolitischen Repräsentation der Genderzeichen und deren Verhältnis zur deutschen Sprache sind in den Vordergrund getreten. Diese Aspekte sind grundsätzlich von der digitalen Barrierefreiheit oder auch der Zugänglichkeit der Zeichen, also der Frage, ob das Genderzeichen für alle wahrnehmbar und verständlich ist, zu trennen.
Mit dieser Aktualisierung wird sich der Fokus rein auf die semiotische Ebene des Genderzeichens beschränken und einige Grundaussagen zur Zugänglichkeit von Zeichen grundlegend zusammenstellen. Zur gesellschaftspolitischen Dimension wird von Seiten BFIT-Bund keine Aussage getroffen. An dieser Stelle sind soziologische und philologische Forschungen und Debatten sicherlich zielführend. Denn die gesellschaftlichen und sprachlichen Implikationen, welche darauf zielen, dass sich jede Person in der gesprochenen und schriftlichen Kommunikation und Sprache unabhängig von der eigenen geschlechtlichen Identität gleichberechtigt wiederfinden kann, sind von hoher Bedeutung.
Die digitale Barrierefreiheit von Genderzeichen auf der semiotischen Ebene
Unter anderem beschäftigt sich die Semiotik mit der Wahrnehmung und Rezeption von Zeichen. An dieser Wahrnehmung der Zeichen, in diesem Fall der Genderzeichen, knüpft dieser Beitrag an. Unabhängig von den eingesetzten Zeichen werden drei Grundprinzipien der Barrierefreiheit in ihrer Wirkung für die Wahrnehmung von Zeichen vorgestellt.
Ein Votum für oder gegen ein bestimmtes Zeichen, welches beim Gendern aus Sicht der digitalen Barrierefreiheit eingesetzt werden sollte, wird nicht Gegenstand der Ausführungen sein.
1. Barrierefreie Wahrnehmung
Blinde Menschen nehmen Zeichen durch die assistive Technologie der Screenreader wahr. Zeichen werden hier in hörbare Sprache oder in haptische Zeichen auf der Begriffserklärung:Braillezeile umgesetzt. Wichtig ist hierbei, dass die sichtbaren Zeichen so standardisiert sind, dass sie immer einheitlich ausgegeben werden. Dies wird üblicherweise durch die UTF-8 Kodierung (am weitesten verbreitete Kodierung von unicode Zeichen) geleistet. Diejenigen Zeichen, die durch UTF-8 erfasst und festgelegt werden, werden kohärent in Sprache und Braillezeichen übersetzt. Man kann grundsätzlich festhalten, dass sämtliche Satzzeichen (wie .,;-:…) zu UTF-8 dazu gehören. Auch die Sonderzeichen mit internationaler Gültigkeit (dazu gehören diejenigen, die auf einer Tastatur sichtbar zu finden sind) sind Teil von UTF-8.
Zusammengefasst ist nach dem aktuellen Stand der Technik unter dem Gesichtspunkt der digitalen Barrierefreiheit jedes UTF-8 Zeichen barrierefrei wahrnehmbar. Dies gilt unter anderem für den *, den :, den _, den /, aber auch beispielsweise für den §, $ oder &.
2. Verständlichkeit der Zeichen
Zeichen müssen von Menschen verstanden werden. In diesem Fall auch von Menschen, deren Zugang zur Schriftsprache eingeschränkt ist (beispielsweise durch eine Lernbehinderung). Hierzu müssen die Zeichenmit einer eindeutigen Bedeutung hinterlegt sein und zum Kontext der umgebenden Wörter und Sätze passen. Die Verwendung der eingesetzten Zeichen muss also immer gleich sein. Steht ein Zeichen immer am Ende eines Satzes, so sollte es nicht zusätzlich in der Mitte eines Satzes eingesetzt werden. Auch bei Wörtern sollten Zeichen, die üblicherweise immer am Ende oder am Anfang von Wörtern stehen, nicht mitten im Wort auftauchen. (>er sagt: „Hallo"< ist üblich, wogegen >er sa:gt H„allo"< als irritierend wahrgenommen wird). Die Regeln, die zu beachten sind, ergeben sich dabei aus dem Textkontext und es ist hier sehr schwer, allen Regeln gleichzeitig Rechnung zu tragen. Denn es werden Sonderzeichen oder Satzzeichen in einer ganz neuen Funktion in das Zeichensystem eingeführt, die so nicht üblich sind. Dies ist stets irritierend und erschwert das Verständnis.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Einbindung von Genderzeichen stets im Kontext des bestehenden Zeichensystems so verständlich und damit so nah am Sprach- und Schriftgebrauch wie möglich erfolgen sollte.
3. Reproduzierbarkeit der Zeichen
Weiterhin fordert die digitale Barrierefreiheit auch immer die uneingeschränkte Bedienbarkeit von digitalen Objekten ein. Konkret ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass die Zeichen von allen eingesetzt, erzeugt und somit reproduziert werden können. Im digitalen Umfeld heißt dies, dass das Genderzeichen so leicht wie möglich von Menschen unabhängig von deren Einschränkung erzeugt werden kann; somit auch mit eingeschränktem Sehen, oder bei motorischen oder kognitiven Einschränkungen. Da wir im digitalen Bereich mit Tastaturen arbeiten, empfiehlt sich aus ergonomischer Sicht ein Zeichen, dass sowohl sichtbar auf der Tastatur vorhanden ist wie auch mit möglichst wenigen Tasten erzeugt werden kann.
Wenn diese drei Grundprinzipien der digitalen Barrierefreiheit - barrierefreie Wahrnehmung, Verständlichkeit und Reproduzierbarkeit - bei der Wahl des Genderzeichens berücksichtigt werden, ist aus Sicht der digitalen Barrierefreiheit viel gewonnen. Die Frage nach der Barrierefreiheit von Genderzeichen sollte sich stets an den drei aufgezeigten Grundprinzipien ausrichten. So wird gewährleistet, dass - unabhängig von der konkreten Festlegung eines Genderzeichens - dieses in Fragen der Zugänglichkeit und Verständlichkeit die maximale Anzahl der Zielgruppe der Lesenden erreicht. Die digitale Barrierefreiheit leistet als Aspekt der Nutzerfreundlichkeit (Begriffserklärung:Usability) einen wertvollen wie auch sachlich neutralen Beitrag in der Frage nach dem Genderzeichen.
Den Text gibt es hier als PDF zum Download:
Digitale Barrierefreiheit Semiotik Genderzeichen (PDF, 92 KB, Datei ist barrierefrei nach BITV 2.0)